Der Blinde an der belebten Straßenecke hockte im Schneidersitz da.
Neben sich hatte er einen alten Hut, der fleckig und zerknautscht war und
aussah, als wäre er aus Versehen in den Waschkübel geraten und
mitgekocht worden. Ein paar armselige Münzen lagen im Hut, und mancher
Passant, der vorbeiging, warf eine dazu. Das leise Klimpern alarmierte den
kleinen Mann mit dem runzligen Gesicht und der dunklen Brille, und er wisperte
ein artiges: "Muchas gracias!" Der Blinde gehörte zum Straßenbild
von Merida, die Menschen kannten ihn.Das war Jose, achtundfünfzig Jahre
alt und durch eine seltene Augenkrankheit seit dem dreißigsten Lebensjahr
erblindet. Den Tag, an dem er sein Augenlicht verlor, hatte er nie vergessen.
Es war der 30. September gewesen, der Tag der Geburt seiner Tochter. Wenn
Jose darüber erzählte, schloß er in der Regel seine
Ausführungen immer mit dem lapidaren Satz: "So ist nun mal das Leben.
Freud und Leid liegen manchmal dicht beisammen."Es war später Nachmittag,
die Zeit nach der Siesta, wo das Leben wieder richtig in Gang kam, als ein
salopp gekleideter Amerikaner mit forschem Schritt die Straße
überquerte und direkt auf den Blinden zusteuerte.Der Tourist trug ein
schneeweißes Hemd mit kurzen Ärmeln und offenem Sportkragen. Die
Hose in elegantem Grau war aus bestem Stoff und schimmerte wie Seide. Der
Amerikaner trug eine Sonnenbrille. Sein Gesicht war gebräunt und markant
geschnitten. Die kastanienbraunen Haare begannen an den Schläfen langsam
grau zu werden. Pit Storner griff wie beiläufig in seine Tasche und
ging vor dem Blinden in die Hocke.