Professor Zamorra Nr. 911: Nachtgestalten
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Marie Dupont rannte. Hart klapperten die Sohlen ihrer leichten Sommerschuhe
über das Pflaster der Gassen, und das schulterlange rotblonde Haar,
welches ihr mit jedem neuen Schritt ungebändigt um den Kopf wehte,
glänzte im orange-trüben Licht der Straßenlaternen, welche
diesen Teil der in nächtlicher Finsternis ruhenden Lyoner Altstadt nur
mühsam erhellten. Es war spät geworden, das wusste sie, vielleicht
sogar schon zu spät. Nein, so durfte sie nicht denken! Abermals schlug
sie einen Haken, bog wahllos in eine neue Gasse ein, während ihr Atem
immer keuchender ging und der stechende Schmerz in ihrer Seite ihr das Laufen
fast unmöglich machte. Ihr ganzer Brustkorb tat weh, mit jedem neuen
Atemzug, und mittlerweile lief ihr der Schweiß in Strömen von
der Stirn, in den Nacken und in den Kragen ihres leichten Sommerkleides.
Sie war am Ende, ausgezehrt, und doch musste Marie laufen, musste weiter.
Jetzt stehen zu bleiben wäre der sichere Tod. Sie wusste nicht, wo ihre
Verfolger waren, hatte sich seit Minuten schon nicht mehr nach ihnen umgedreht.
Doch sie spürte, dass sie noch an ihr klebten, noch immer an ihren Fersen
hingen wie gierige Raubtiere, die ein hilfloses Opfer ausgemacht hatten.
Und sie würden nicht ruhen, bis es ihnen gehörte.
von Simon Borner, erschienen am 28.04.2009, Titelbild: Candy Kay
Rezension von
Ministerpräsident:
Kurzbeschreibung:
Der Irrwisch Rachban möchte Stygia, die neue Ministerpräsidentin
der Hölle, an ein gemeinsames Projekt erinnern. Diese ist allerdings
zu sehr mit ihrer mysteriösen Schwangerschaft beschäftigt und schickt
ihn weg. Währenddessen glaubt Asmodis in Luc Curdin JABOTH gefunden
zu haben, in dem LUZIFER wiedergeboren wird. Der Erzdämon versucht ihn
unter der Tarnidentität Le Pen zum Bösen zu verführen, was
ihm jedoch nicht gelingen will. Inzwischen ruft Chefinspektor Pierre Robin
Zamorra um Hilfe, da in Lyon mehrere grausame Morde begangen worden sind
Meinung:
Simon Borner setzt den Handlungsstrang um Asmodis Suche nach JABOTH und Stygias
Schwangerschaft gekonnt fort. Letztere hat ihr Ziel endlich erreicht und
ist die neue Ministerpräsidentin der Hölle, die sich auch sogleich
einen neuen Thron zugelegt hat. Die Szene während der Audienz von Rachban
wird auf dem Cover exzellent dargestellt: Der Thron der flehenden Hände,
Stygia und der Kelch mit dem Höllennektar. Das Gespräch zwischen
dem Irrwisch und der Dämonin findet zu Beginn des Romans statt und man
erfährt nicht sofort um welches Projekt es sich hierbei handelt. Auch
Asmodis Suche nach JABOTH wurde sehr gut in Szene gesetzt und beansprucht
fast den gesamten Roman. Zamorra selbst hat nur einen Kurzauftritt und kann
diesmal bei den Ermittlungen nicht weiterhelfen. Zumal beschäftigt ihn
auch eine Prophezeiung von Nostradamus beschäftigt: Laut einer bestehenden
Sternkonstellation beginnt ein Zeitalter der Tränen und des Wandels,
in welcher die bestehende Ordnung untergeht und die Toten über die Erde
wandeln. Ebenfalls Bezug wird auf die immer häufiger werdenden
Fehlfunktionen des Amulettes.
Fazit: Ein rasanter Roman, der den roten Faden um die Suche nach JABOTH,
Merlins Stern und Stygia, als amtierende Ministerpräsidentin fortsetzt.
Besonderheiten:
Erster Auftritt des Irrwischs Rachban, einem langjährigen Freund und
Vertrauten Stygias.
Asmodis glaubt in Luc Curdin JABOTH gefunden zu haben, es erweist sich aber
schlussendlich als Irrtum.
Stygia schwört, herauszufinden wer Luc Curdin, Spielzeug getötet
hat und will ihn dafür teuer bezahlen lassen.
Zamorra erfährt von der Nostardamus-Prophezeihung, die große
Veränderungen voraussagt.
5 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Cover zeigt Stygia auf dem "Thron der flehenden Hände". Sehr gut
dargestellt.
Coverbewertung:
Rezension von
Stefan (Lobo)
Albertsen:
Kurzbeschreibung:
Lyons Nachtleben ist gefährlich. Lebensgefährlich sogar, wie Marie
Dupont, eine junge Studentin feststellen muss. Sie wird von zwei stark
alkoholisierten Amerikanern zunächst belästigt, dann bedrängt
und letztlich nach einer kurzen Verfolgungsjagd durch die Gassen der Stadt,
überwältigt und fast vergewaltigt. Zu ihrem Glück kommt eine
Bestie dazwischen und rettet ihr das Leben. Dabei handelt es sich um Asmodis,
der sich nach Lyon begeben hat, um im Auftrag LUZIFERS JABOTH ausfindig zu
machen. Diesen vermeint der ehemalige Höllenfürst in dem
14jährigen Herumtreiber Luc Curdin entdeckt zu haben, dessen vergangenes
Leben allerlei Merkwürdigkeiten aufweist. Eine Babysitterin, die ihn
schlecht behandelt hat, erstickt beinahe, eine gemeine Krankenschwester,
die ihn während eines Krankenhausaufenthaltes pflegen sollte, leidet
plötzlich unter Albträumen, die sie fast in den Wahnsinn treiben
und ein Gewalt bereiter Mitschülter verstirbt, als er urplötzlich
Exkremente ausspuckt.
Asmodis ist geblendet von der Aussicht JABOTH gefunden zu haben und beginnt
den Jungen zu beeinflussen. Er will ihn die Schlechtigkeit lehren und das
letzte Gute aus ihm heraus drängen. Er stiftet ihn zum Diebstahl an,
was Luc ablehnt, auch wenn es darum geht Marie Dupont - in die der Junge
schon sehr lange verliebt ist - ein Kleid zu schenken, welches dem ähnelt,
dass bei dem brutalen Überfall beschädigt wurde. Asmodis entzieht
dem Jungen die Basis und tötet den Anführer einer Truppe von
Herumtreibern, mit denen Luc abhängt. Die anderen Mitglieder der Bande,
die ihn bislang duldeten, weil er unter dem Schutz des Chefs stand, vertreiben
ihn und so wird Luc immer haltloser. Er beschließt nach Paris abzuhauen
und dort seinen Weg zu finden, doch Asmodis kommt ihm wieder zuvor. Just
am Bahnhof, von wo aus die Reise beginnen soll, findet Luc Marie Dupont,
hilflos gefesselt in einem abseitigen Raum. Der Ex-Teufel hat dort einen
für den Jungen sichtbaren Dolch hinterlassen und dringt nun mittels
Telepathie (oder so ähnlich) auf ihn ein, endlich seiner finsteren Seite
nachzugeben.
Fast gleichzeitig erfährt Asmodis, dass er einen schweren Fehler begangen
hat, denn Luc ist nicht JABOTH, sondern ein Projekt der derzeitigen
Ministerpräsidentin der Hölle. Stygia und ein Irrwisch namens Rachban
haben Lud "geschaffen" und schwarzmagisch beeinflusst, um ihn für Aufgaben
aus der Hölle tauglich zu machen. Asmodis teleportiert zu Erde, um Luc
zu stoppen, denn er weiß, dass Stygia wohl sehr wütend werden
wird, wenn jemand ihrem "Projekt" etwas antut oder es auch nur beeinflußt.
Doch der Ex-Teufel ist zu spät. Luc hat den Einflüsterungen nachgegeben
und Marie getötet. Asmodis tötet nun seinerseits Luc und zieht
sich zurück, in der Hoffnung, das Stygia ihn niemals als Verantwortlichen
auszumachen in der Lage sein wird und erfüllt von Sorge um seinen KAISER,
dem er JABOTH nicht präsentieren kann.
Meinung:
Ein ganz großes Drama. Hier läuft wahrlich eine gigantische
Tragödie ab, die sich mit den Niederungen der menschlichen Seele
beschäftigt, von Beeinflussung und vermeintlichem Schicksal erzählt.
Und sie ist sterbenslangweilig! Tja, ich hoffte tatsächlich etwas anderes
berichten zu können, doch leider ist das nicht der Fall. Als ich erfuhr,
dass Simon Borner nur zwei Monate nach seinem
Band 907 "Imperium der Zeit" wieder
einen Roman rausbringen würde, war ich schon mal skeptisch. Eben jener
Roman war mir einfach zu langweilig gewesen, was ich ja in der betreffenden
Rezi beschrieben habe. Ich hatte jedoch die leise Hoffnung, dass das ein
"Ausrutscher" gewesen sein könne, denn, ich betone es gerne noch einmal,
Simon Borner vermag schon gekonnt mit Worten umzugehen und einige Elemente
seiner Trier-Story waren im Ansatz gelungen. Als ich dann "Nachtgestalten"
zu lesen begann fand ich auch einen stimmigen Anfang mit Schockeffekten und
eine sehr schöne Szene in der Stygia vor Wut kocht, weil sie sich immer
noch nicht erklären kann, weshalb sie eigentlich schwanger ist und in
der sich Rachban als kriecherischer Untergebener vorstellte. Alles schön
und gut, doch dann begann die Tragödie um Luc Curdin und damit nahm
die Langeweile ihren Lauf. Asmodis' Ränke, die er in dem vorliegenden
Band schmiedet sind mysteriös, aber es will einfach keine rechte Spannung
aufkommen. Zu häufig ergeht sich der Autor in Beschreibungen aus dem
Innenleben des Jungen, zu oft zeigt er, wie sehr Luc das "Ansichtskartenimage"
seiner Heimatstadt Lyon hasst, anstatt mal etwas "Action" einzuflechten.
Ach ja, Zamorras Auftritte in diesem "Zamorra-Roman" haben Seltenheit und
wirklich in die Handlung eingreifend erleben wir den Meister des
Übersinnlichen nicht. Auch Pierre Robin und seine Mannen haben lediglich
Nebenfigurencharakter und sind Stichwortgeber. Darüber, dass in diesem
Roman ein Dämon vorkommt, der den Zugang zu Stygias Audienzsaal bewacht
und dabei ein Klemmbrett benutzt (ein Klemmbrett, das muss man sich mal
vorstellen), um zu ersehen wer rein darf und wer nicht, verliere ich nur
die Worte innerhalb dieses einen Satzes.
Fazit: Die Idee ist in diesem Falle gut, besser jedenfalls als bei Zamorras
Besuch in Trier. Auch sprachlich hat Simon Borner es drauf. Leider, leider,
leider bietet der Roman keine oder nur sehr wenig Spannung (lediglich am
Anfang und zum Ende hin, kommt etwas davon auf). Sehr Schade!
Besonderheiten:
Asmodis' Suche nach JABOTH führt auf eine falsche Fährte.
2 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Cover, welches Stygia auf ihrem "Thron der flehenden Hände" zeigt,
finde ich recht gelungen und atmosphärisch. Besonders interessantes
Detail: Die Highheels der Ministerpräsidentin der Hölle. Rrrrrrrrroar
...
Coverbewertung:
Rezension von
Florian
Hilleberg:
Kurzbeschreibung:
Der vierzehnjährige Luc lebt in Lyon und treibt sich am liebsten mit
einer Clique von Rowdys herum, bei denen er Anerkennung findet, im Gegensatz
zu seinen Eltern, die von ihrem Sohn maßlos enttäuscht sind und
sich nicht um ihn kümmern. Asmodis glaubt in diesem Jungen JABOTH zu
erkennen, in dem sich der Höllekaiser LUZIFER erneuern soll. Er hilft
Luc im Verborgenen und zeigt sich dem Jungen in der Gestalt eines verstockten,
wohlhabenden Bürgers. Mehr und mehr zieht Asmodis den magisch begabten
Luc auf seine Seite und hinterlässt eine Spur grauenhaft zugerichteter
Leichen in Lyon, die bald nicht nur die Aufmerksamkeit der Mordkommission
erregen, sondern auch Professor Zamorra auf den Plan rufen
Meinung:
der wiederum nur einen verschwindend kleinen Auftritt inne hat, bei
dem er feststellen muss, dass weder er, noch sein Amulett magische Kräfte
orten können. Obwohl er fest davon überzeugt ist, dass die Morde
eine übernatürliche Ursache haben, überlässt er Chefinspektor
Robin sich selbst, weil er seit Merlins Tod ja ach so viele Fronten zu bearbeiten
hat. Abgesehen davon, dass es nicht mehr Fronten sind, als vor dem Tod des
alten Zauberers, ist dieses Verhalten eines Professor Zamorra nicht würdig
und völlig untypisch. Man merkt den Zeilen deutlich an, dass Borner
den Titelhelden nicht in der Story gebrauchen konnte, also wurde er nur flugs
wieder von der Liste gestrichen. Der Auftritt von Chefinspektor Robin und
seines Assistenten Brunot sind ein netter Einschub, tragen zum Abschluss
des Falles aber nicht viel bei, zumal Robin und Zamorra am Ende des Romans
immer noch keinen blassen Schimmer davon haben, was in Lyon so grauenhafte
Morde verübte. Die nebulösen Andeutungen auf die Vorhersagen des
Nostradamus hätte sich der Autor jedenfalls sparen können. Asmodis
verfolgt in diesem Roman eine erste konkrete Spur von JABOTH und verhält
sich so vollkommen untypisch und grausam wie schon seit Langem nicht mehr,
genau genommen, seit er der Hölle des Rücken kehrte. Ein Hinweis
darauf, dass die Abkehr von den Schwefelklüften nur eine Finte war?
Im Großen und Ganzen dreht sich der Roman um den jungen Luc, der Zeit
seines Lebens in mysteriöse Vorkommnisse verwickelt war, selten aber
Notiz davon genommen hat. Man weiß zwar, was Asmodis mit dem Teenager
vorhat, aber wirklich viel Spannung kommt in trocken geschilderten Passagen
nicht auf. Selbst die Rückblicke aus den Archiven der Hölle schaffen
da keine Abhilfe. Dabei ist die Grundidee wirklich gut, und selbst Stygia
darf zweimal eindrucksvoll in Szene treten und mit Rachban stellt sich dem
Leser ein motivierter und gerissener Irrwisch vor, der ein wenig Humor in
die Geschichte mit einbringt. Nichtsdestotrotz erweist sich "Nachtgestalten"
als einfallsreicher, aber fader Einzelroman.
Fazit: Gute Idee, schwache Umsetzung. Der Autor beherrscht zwar den sprachlichen
Umgang, vermag aber kaum Spannung zu erzeugen.
Besonderheiten:
Erster Auftritt von Rachban, einem Irrwisch Stygias, der der Teufelin seit
Jahren treu ergeben ist.
2 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Stygia auf ihrem neuen Höllentrohn mit einem Korb Fingerfood neben sich.
Schön dargestellte Höllenszenerie.
Coverbewertung: