Professor Zamorra Nr. 514: Der Schädeltempel
Die Luft flimmerte in der Mittagshitze. Der Wind trieb rötliche Sandschleier
über die Ebene. Das dunkle Gebilde unter dem brennenden Himmel schien
auf den ersten Blick eine Fata Morgana zu sein, eine Luftspiegelung. Es war
ein Schädel. In den tiefen Augenhöhlen glomm düsteres Feuer.
Als der Wind durch die Öffnungen strich, begann der Schädel zu
heulen. Die Kiefer bewegten sich auseinander, legten ein Tor frei, aus dem
ein Mädchen hervortrat. Es hielt einen kleinen Drachen auf der
ausgestreckten Faust. Mit einer kraftvollen Bewegung schleuderte es ihn in
den glühenden Himmel hinauf. Der Drache entfaltete seine Schwingen und
begann zu kreisen. "Suche", befahl das Mädchen. "Und finde!" Der Drache
gab einen schrillen, durch Mark und Bein dringenden Schrei von sich und raste
wie ein Irrwisch davon.
von W. K. Giesa, erschienen am 08.02.1994
Rezension von
Wolfgang
Trubshaw:
Kurzbeschreibung:
Bei einem Besuch in Mostaches Kneipe stoßen Zammy und Nicole auf einen
bärtigen Hünen, der mit Zaubertricks und Illusionen die anderen
Gäste unterhält. Als er die Anwesenden und auch die Kneipe selbst
in eine Fantasy-Gewandung und -Aufmachung verzaubert, reißt Zamorra
der Geduldsfaden, und der Bärtige, der sich selbst einen Suchenden nennt,
verzieht sich vorerst, nur um später im Château erneut aufzukreuzen.
Zamorra räumt das hinterlassene Chaos in der Kneipe magisch auf, aber
plötzlich beginnen Gäste spurlos zu verschwinden, von einem Moment
auf den nächsten. Bald sind Mostache, Pascal Lafitte, ein Winzer aus
Zamorras Weingärten, eine Studentin, Nicole Duval und sogar Butler Raffael
verschwunden, und Zamorra macht sich auf die Suche. Der Bärtige ist
in Wahrheit nur ein Teilaspekt des Gavvrovals, eines kleinen Drachens, der
sich auf die Suche nach "dem Richtigen" gemacht hat, nämlich einem
dafür Richtigen, ihm und der Hoffenden dabei zu helfen, auf einer anderen
Welt das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse herzustellen. Jene andere
Welt ist noch im Entstehen begriffen, noch bar jedes Lebens, aber das Böse
versucht in einem magischen Tempel die Oberhand zu gewinnen, und die Hoffende
und der Gavvroval (beide als Duo Diener der Schicksalswaage!) haben vom
Wächter der Schicksalswaage den Auftrag, dort dieses Böse zu besiegen,
um der Welt einen "neutralen" Start zu ermöglichen. Dummerweise wird
jedesmal, wenn sie jemanden auf die Welt holen, der sich nicht als der
Richtige herausstellt, das Böse dort stärker, was auch den
Dienern der Schicksalswaage ihren Job erschwert. Den Falschen werden dort
die Seelen aus den Körpern getrennt und in ein böses Seelen-Kollektiv
einverleibt, die Körper werden zu willenlosen Zombies. Aufgrund der
anfänglichen Unklarheit darüber, dass Zamorra der Richtige
ist, dauert es geraume Zeit, bis sich die ganze Sache in Wohlgefallen
auflöst.
Meinung:
Märchenartige Fantasykost mit Zombies? Kann das klappen? Durchaus, wie
dieses Heft hier beweist. Dieser Einzelroman liest sich recht flott und
gefällig. Zwar während der ersten zwei Drittel eher aus verwunderter
Neugier denn aus Spannung, aber gegen Ende hin wird auch davon noch etwas
geboten. Darüber hinaus war es interessant einmal zu lesen, was andere
Diener der Schicksalswaage denn so tun.
Besonderheiten:
- Zamorra lernt mit der Hoffenden und dem Gavvroval zwei Wesen kennen, die
wie er Diener der Schicksalswaage sind.
- Zum ersten Mal wird ein Dhyarra zu einer Art Zeitverschiebung benutzt,
was Zamorra aber fast das Leben kostet, da er sich quasi aus der Zeit hinaus
verschoben hat, und sich daran niemand erinnern könnte, er somit beinahe
dem auflösenden Vergessen anheim fällt.
3 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das recht einfach gehaltene aber doch ansprechende Bild von Capdevila zeigt
die Hoffende vor dem Schädeltempel, wie sie den Gavvroval losschickt,
um nach Hilfe zu suchen. Im Hintergrund sieht man die Wüste, die diese
in der Entstehung begriffene Welt noch überzieht.
Coverbewertung:
Ein Zusatzhinweis zu dem Cover kommt von Helmut Weininger:
Der Zeichner des Titelbildes hat sich bei seinem Schaffensprozess wohl ziemlich
von Boris Vallejo inspirieren lassen, und Teile seiner Werke verändert
in sein Bild mit einfließen lassen:
Ein weiterer Hinweis kommt von Michael Schick:
Der Flugdrache vom Hintergrund des Bilds wurde übrigens auch auf dem
deutschen Video-Cover des Science-Fiction Films "MYSTERIOUS PLANET" (USA,
1982) verwendet: