Professor Zamorra Nr. 133: Der Mumienfürst

Professor Zamorra Nr. 133: Der Mumienfürst


Es war zehn Minuten vor Mitternacht, als eisiger Wind über die Cordillera de Vilcarnota hinwegfegte und die tiefhängenden Wolken über die Schroffen und Grate nach Norden trieb. In den Siedlungen und Städten am Rio Urubamba fuhren die Menschen hoch, sprangen aus den Betten, von ihren ärmlichen Strohlagern oder ließen sich aus den Hängematten fallen. Das hohle Pfeifen, das der Wind hervorrief, wenn er über die Schluchten und Täler raste, kündigte Unheil an. Hier und dort schaute einer auf die Uhr, begann die Minuten zu zählen. Die Menschen im Tal des Rio Urubamba kannten sich aus. Kurz vor Mitternacht würde es ruhig werden. Totenstill. Der Wind, der aus dem Gran Chaco kam und dem weitgespannten Bogen der Kordilleren folgte, war dann auf dem Weg in die Selvas, um die Kronen des Urwaldes am Amazonas zu zerzausen. Über dem Cerro Sargantay, dem über sechstausend Meter hohen Bergmassiv westlich des Flusses, tauchte plötzlich die riesige Silberscheibe des Mondes auf, schleuderte unbarmherziges kaltes Licht tief hinunter bis in die kleinste Schlucht.


von Hans-Joachim von Koblinski, erschienen am 24.07.1979