Tolle Tage mit den Täufern
Glauben, Revolution und Kitsch: Münster stellt sein
"Tausendjähriges Reich" aus
In Münster wird man im Zeichen eines doppelten Traumas geboren. Das
eine ist der "feuchte Himmel", den schon der päpstliche Nuntius
während der Friedensverhandlungen am Ende des Dreißigjährigen
Krieges beklagte. Das andere sind die drei mannshohen Käfige, die vom
Turm von St. Lamberti die Stadt mahnen und deren Anblick sich nicht einmal
die Zecher entziehen können, die das Glück haben, ihr Einkommen
bei Stuhlmacher am Prinzipalmarkt vertrinken zu dürfen. Denn in die
Käfige haben die Münsteraner einst die fleischlichen Reste jener
gezwängt, die ihnen die Revolution bringen wollten, die
Wiedertäuferführer Jan van Leiden, Bernd Knipperdollinck und Bernd
Krechtinck. Und von Zeit zu Zeit geistern ihre toten Augen wieder durch die
Stadt des heiligen Luidger.
Doch nicht immer folgen die Augen dämonischem Antrieb. Nachdem 1998
ganz im Zeichen der 350-Jahr-Feiern des Westfälischen Friedens gestanden
hatte, scheint man sich in Abstimmung mit dem Fremdenverkehrsverein jetzt
wieder den düsteren Seiten der Stadtgeschichte zuzuwenden und hat im
Stadtmuseum "Das Königreich der Täufer" ausgestellt. Dabei handelt
es sich um eine Schau, die sich durchaus in den Dienst der Geisteraustreibung
stellt, will sie doch mit den zahlreichen Mythen aufräumen, die sich
immer noch um das "Tausendjährige Reich" ranken, das unter der Führung
des Schneidergesellen Jan van Leiden 1534/35 immerhin für 17 Monate
Bestand hatte. Es ist eine schöne Ausstellung geworden.
Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Johannes Rau erzählt
sie von einer Zeit, in der die Menschen überzeugt davon waren, dass
es für sie keine Zukunft gebe. Krieg, Hunger, Pest, Inflation und vor
allem eine ins Amoralische entrückte Papst-Kirche ließen nur einen
Schluss zu: Das Reich Christi stand vor der Tür. Und wie das zu solchen
Zeiten immer ist, fanden sich Leute, die bereit waren, dem nachzuhelfen.
Die Wiedertäufer, wie ihre Feinde sie nannten, die in den zwanziger
Jahren des 16. Jahrhunderts von den Niederlanden nach Westfalen gelangten,
waren nur ein Zweig jener reformatorischen Bewegung, die in der Überzeugung
lebte, dass erst der erwachsene, denkende Mensch im Stande sei, mit dem Sakrament
der Taufe Zugang zum Tausendjährigen Reich Christi zu erlangen. Für
Katholiken lag das auf einer Linie mit der protestantischen Ketzerei. Doch
auch die Anhänger Luthers und Zwinglis distanzierten sich von der
Radikalität der Täufer, die zudem in Erwartung des baldigen Weltendes
merkwürdige sozialrevolutionäre Gedanken hegten. Seit dem Reichstag
von Speyer 1529 wurden die Täufer im Reich mit dem Tode bedroht.
Ein schwacher Bischof und die siegreiche Reformation bewirkten, dass die
Täufer um 1533/34 in der wohlhabenden Handelsstadt Münster Fuß
fassen konnten. In Erwartung des jüngsten Gerichts warf man alles
Katholische auf den Scheiterhaufen, proklamierte die Vielweiberei und
verkündete das Tausendjährige Reich auf Erden. Ihm sollte es so
ergehen wie einem späteren auf deutschem Boden. Ein neuer Bischof, Franz
von Waldeck, rückte mit Truppen und Kanonen, die ihm zum Teil von
protestantischen Fürsten geliehen worden waren, gegen die schwer befestigte
Stadt. Zwar feierte ihr König Jan van Leiden in der Überzeugung,
die ganze Welt sei ihm untertan, mit seinen 16 Frauen schöne Orgien.
Doch im Juni 1534 waren selbst die Ratten aufgegessen, und die Stadttore
öffneten sich durch Verrat. Der Rache der Sieger fielen nicht nur die
Täufer, sondern die ganze Reformation zum Opfer. Münster wurde
zu einer wohl genährten Beamtenstadt unter der Knute des Bischofs.
Diese Geschichte erzählt man im Stadtmuseum mit einer Fülle von
Originalen, dem Goldenen Abschlag eines Talers etwa, den König Jan van
Leiden prägen ließ, den originalen Protokollen der Verhöre,
denen die Täuferführer im Kerker unterworfen oder den Zangen, mit
dem sie schließlich in Stücke gerissen wurden.
Der Brückenschlag zu dem anderen Ereignis, in dem Münster ein Ort
der Weltgeschichte war, unterbleibt. Dabei ist die Frage, wie der
Konfessionenkampf in Deutschland verlaufen wäre, wenn das riesige
westfälische Bistum protestantisch geblieben wäre, nicht ohne Spannung.
Diese aber findet man in der Ausstellung in den letzten Räumen, die
dem langen Nachwirken der Täuferherrschaft gewidmet sind.
Denn nach den staatstragenden Feiern von 1998 hat man jetzt die Unterirdischen
ausgegraben. Ihnen begegnet zum Beispiel Dämonenjäger Mark Hellmann,
Spezialist für Okkultes, als er an der Universität Münster
einen Vortrag halten soll und plötzlich mit den blutlosen Leichen zweier
Studentinnen konfrontiert wird. Denn die "Wiedertäufer-Vampire" des
Blutdruiden Dracomar sorgen für Gruselspannung, zumindest in den
schönen Groschenheften, die mittlerweile 2,50 Mark kosten und auch in
Münster zu haben sind. "Die Handlung ist verwoben sowohl mit
nachprüfbaren Angaben z. B. zu Straßennamen, Kneipen und Institutionen
in Münster als auch mit Informationen zum münsterischen
Täuferreich", weiß der Katalog. Da sage noch einer, Horror-Autoren
würden nicht recherchieren.
Auch auf Zuckerbäcker üben die toten Augen von St. Lamberti eine
gar absonderliche Wirkung aus. In der Konditorei Krimphove etwa wird eine
Wiedertäufertorte gebacken. In der Säure von Apfel, der
Süße der Pflaumen, dem hanseatischen Rum und den Kernen der Haselnuss
nehmen van Leiden und seine Kumpane wieder kalorienmächtige Gestalt
an. In der Fastnachts-Kumpanei der "Wiedertäufer am Buddenturm" gibt
der viel beweibte König dem bierseligen westfälischen Karneval
ein geradezu dämonisches Ambiente. Mit Wiedertäufer-Notgeld suchte
die Stadt den Schrecken der Weimarer Inflation zu begegnen, mit
Wiedertäufer-Schokolade wollte man sie versüßen. Und im
Wiedertäufer-Schnaps hoffen Münsteraner noch immer, die Dämonen
aus Vergangenheit und Gegenwart zu vergessen.
Wie eine lokale Episode Welthistorie geschrieben hat und damit die Geschichte
des Kitschs maßgeblich bereichert hat: Seriöser als im Stadtmuseum
Münster hat man es selten gesehen. |