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MS Pleasure 24.07.1998 / 19.00 Uhr Atlantik, nahe 35.
nördlicher Breitengrad
Komm schon, Süße lass uns etwas Spaß haben.
Die Stimme des Mannes klang schwülstig, auffordernd. Er wusste, was
er wollte und er wusste auch, dass er es bekommen würde. Schließlich
zahlte er für diesen Trip gutes Geld. Die Kreuzfahrt, jegliche Verpflegung
und die Girls waren im Preis inbegriffen. Nancy nickte nur. Sie hielt ein
Glas mit Gin-Tonic in der Hand, starrte in den Spiegel hinter der Bar und
bemühte sich, noch ein paar Minuten zu gewinnen. In ihrem knappen Bikini
und mit den perfekt geschminkten Lippen sah sie verführerisch aus. So
wie ihre Kolleginnen, die man auf diese Reise eingeladen hatte. Nicht nur,
dass sie nichts für den Trip zahlen musste sie verdiente auch
noch einen glatten 1000er an der Sache. Sieben Tage auf See, gutes Essen
und viel Sonne dazu angenehme Gesellschaft, denn keiner der Männer
an Bord der MS Pleasure war älter als fünfzig. Sex, wann immer
es die Kunden forderten, aber keine extremen Spiele oder die Freier
mussten dafür zahlen. Keines der eingeladenen Callgirls hatte sich diese
Gelegenheit entgehen lassen. Zu viert waren sie an Bord gegangen, hatten
ihre kleinen Kabinen bezogen und sich den Tag der Abreise gegönnt, um
mit dem Schiff und den Gästen warm zu werden. Früher einmal war
die MS Pleasure ein kleines Luxus-Schiff eines Reederei-Besitzers gewesen.
Zwölf Kabinen für Gäste sowie sechs für das Personal.
Viel Teak war verbaut worden, um das Interieur so ansprechend als möglich
zu gestalten. Spiegel, moderne Elektronik und Teppichboden im gesamten Bereich
unter Deck machten die Reise für die Passagiere zu einem wahren
Vergnügen. Dann aber ging die Reederei Pleite, jedes einzelne Schiff,
jede Werft und jede Maschine kam unter den Hammer. Ein findiger
Geschäftsmann, der zuvor schon einige Bordelle betrieben hatte, kaufte
die MS Pleasure, die zu dieser Zeit jedoch noch MS Celeste hieß, und
funktionierte sie zu einem Bordell für Reiche um. Wer es sich leisten
konnte, durfte auf dem Schiff ein paar Tage auf hoher See verbringen, umgeben
von reizenden Frauen und versorgt mit dem Luxus, den er auch sonst gewohnt
war. Sat-TV und Videos, lukullische Spezialitäten sowie ein Pool und
eine Sauna. Auch ein Spielzimmer war vorhanden, in welchem jedoch kein Sex
geboten wurde, sondern Poker gespielt werden konnte sowie Billard oder
Automaten-Spiele. Es war ein Schiff für exklusive Gäste, die hier
ein paar ebenso exklusive Tage verleben konnten ohne Angst, von einem
windigen Fotografen abgelichtet zu werden, einer eifersüchtigen Ehefrau
in die Arme zu laufen oder sonst wie aufzufallen. Auf der MS Pleasure konnten
sie auf dem Deck liegen, die Sonne und die Mädchen genießen
und alles ohne den Hauch einer Störung. Du hast einen
wunderschönen Körper. Eine Sünde, das bist du. Nancy
kicherte artig. Der Mann, der ihr dies sagte, gehörte zu den
Top-Geschäftsleuten aus New York. Einer, der alle Börsenturbulenzen
und auch die Crashs der 90er überstanden hatte. Viel Geld, wenig Moral
und keine Frau, denn die war vor Jahren gestorben. Er stand auf Oralsex und
feuchte Spiele mit Champagner, mochte seinen Toast cross und den Martini
auf Eis. Jedes Mädchen hatte ein paar Daten über die Gäste
erhalten. Kleine Mappen mit Dingen, die für den perfekten Service wichtig
waren. 1000 Dollar wollten verdient sein auch wenn es im Liegen geschah.
Also schön, mein Großer, kicherte Nancy. Wirklich
war ihr Freier über eins-neunzig und damit ein Großer. Er hingegen
bezog es eher auf sein bestes Stück, doch damit konnte er nach Nancys
Meinung keinen Blumentopf gewinnen. Durchschnitt, oder?, wie
sie mal mit ihren Kolleginnen Gina, Sybill und Rochelle erörtert hatte.
Dann lass uns mal in deine Kabine gehen und etwas Spaß haben.
Sie wäre lieber sitzen geblieben, um ein paar Stunden über das
Leben im Allgemeinen und Besonderen nachzudenken doch dies war ihr
nicht vergönnt. Wenn ein Kunde rief, hatte sie zu folgen. So waren die
Regeln und an diese hielt sich Nancy. Dies sollte eine kleine Nummer vor
dem Dinner werden. Später, das wusste sie, würden sich die Männer
zu einem Spiel treffen, während die Mädchen Freizeit hatten.
Vermutlich, mutmaßte Nancy, hocken wir wieder zusammen und lästern
über die Typen hier. Hoffe, wir werden noch öfters gebucht.
Während die beiden die Bar verließen und zu einer der Kabinen
gingen, stand der Kapitän der MS Pleasure Roger Dalton
auf der Brücke und ließ seinen Blick über das abendliche
Meer wandern. Die untergehende Sonne färbte das Wasser rot. Der Wind
war angenehm, der Himmel klar. Keine Wolke trübte den perfekten Anblick,
den das Meer in diesem Moment bot. Neben ihm stand sein Erster (und einziger)
Offizier Sid Freeman. Beide kannten sich schon länger, hatten früher
bei der bankrott gegangenen Reederei gearbeitet und waren vom neuen Eigner
des Schiffes übernommen worden so wie auch die beiden
Steuermänner, der Maschinenmann sowie der Steward, der Koch und die
Reinigungsfrau. Diese acht Personen waren für das Wohl der Passagiere
verantwortlich und sorgten dafür, dass das Schiff den höchsten
Anforderungen entsprach. Also schön dann lass uns einen
Kontrollgang machen. Anschließend gehört die Lady dir. Freeman
nickte. Er wusste, dass sich der Captain Skipper, wie er ihn nannte
auf ihn verließ. Zudem war es keine schwere Aufgabe, das Schiff
auf einem vorher festgelegten Kurs zu halten. So lange keine Stürme
aufkamen oder ein Seebeben an der MS Pleasure zerrte, würden sie den
Hafen sicher erreichen. So wie stets. Gehen wir. Wenn etwas ist
Die letzten Worte galten Fred Brueckner, einem deutschen Steuermann,
der schon vor einigen Jahren auf der Lady angeheuert hatte. Der Steuermann
nickte nur, warf routinemäßig einen Blick auf das Radar
und erstarrte. Sir, schauen Sie sich das mal an. Könnte eine
Sturmfront sein, die da auf uns zukommt. Oder was meinen Sie? Freeman
und Dalton schauten gemeinsam auf den grünen Schirm des Schiffsradars.
Sie sahen sofort, was Brueckner meinte. Ein dichtes Gebilde war vor ihnen
aufgetaucht keine fünfzig Seemeilen voraus. Es schien aus dem
Nichts gekommen zu sein und näherte sich ihnen rasch. Was sagt
denn der Wetterbericht? Freeman schaute auf den Monitor, über
den die Daten verschiedener Wetterdienste liefen. Alle waren sich einig
bestes Wetter. Nichts, Skipper. Alles in Ordnung. Brueckner
rufen Sie mal Miami. Vielleicht haben die was, was wir noch nicht auf dem
Bildschirm haben. Damit wandte er sich ab, um gemeinsam mit Dalton
den abendlichen Rundgang zu machen. Aus der gemütlichen Nachtschicht
aber würde nichts werden. Zumindest dann nicht, wenn dieses Ding auf
dem Radar wirklich eine Sturmfront sein sollte. Sie gingen über Deck,
auf dem sich noch immer einige der Gäste tummelten, um dann unter Deck
zu steigen. Die Kabinen der Gäste und Mädchen waren für sie
Tabu. Nicht aber die Messe, der Salon sowie das Spielzimmer. Von dort ging
es weiter zum Maschinenraum, in dem Phil Masters Dienst tat, ein Bär
von einem Mann. Seine dunkle, fast schwarze Haut glänzte, als habe er
sie eingeölt. Seine braunen Augen schauten aufmerksam, als Dalton seinen
Blick schweifen ließ. Der Bär, wie ihn die Crew nannte, hatte
nichts zu verbergen. Alles lief, wie es laufen sollte. Er lächelte
zufrieden, als ihm Dalton auf die Schulter klopfte. Auch wenn sie sich alle
seit Jahren kannten, waren sie doch nicht so vertraut, wie es Freunde waren.
Der Skipper war der Boss, unter ihm stand Freeman. Erst dann wurde es
vertraulicher, denn die unteren Chargen bildeten eine gewisse Gemeinschaft.
Einzig Brueckner bildete vielleicht eine Ausnahme, wurde eher zu Dalton und
Freeman gezählt. Würde einer der beiden aussteigen, das ahnten
alle, wäre Brueckner der heißeste Kandidat für einen Aufstieg.
Der Steuermann stand noch immer am Radar und starrte auf die Front, die sich
vor ihnen aufbaute. Auch in Miami hatte man ihm nicht sagen können,
was da kam. Kein Unwetter, so viel stand fest. Und doch war da was. Geschichten
fielen ihm ein. Über das Bermuda-Dreieck, die Mary-Celeste und verschwundene
Flugzeuge. Hieß dieses Schiff früher nicht auch Celeste? Einerseits
war ihm klar, dass dies alles Ammenmärchen waren. Brueckner hatte diese
Strecke oft befahren und nie war ihm etwas Merkwürdiges aufgefallen.
Keine Wracks, die plötzlich auftauchten. Kein weißes, brodelndes
Wasser und keine verschwundenen Schiffe. Nichts. Warum sollte es nun anders
sein? Diese Front musste ein Unwetter sein auch wenn die Nasen in
Miami anderer Ansicht waren. Etwas brummte und kurz darauf jagten zwei Flugzeuge
über seinen Kopf hinweg. Er konnte ihren Flug auf dem Radar verfolgen.
Also ist es Miami wichtig genug, um mal zu schauen. Perfekt dann werden
wir bald wissen, was das ist. Er ging die verschiedenen Frequenzen des Funks
durch, um die beiden Maschinen direkt empfangen zu können. Noch immer
sah er die beiden Punkte auf dem Radar. Sie waren fast an der Front, die
nun in ihren Ausmaßen deutlicher wurde. Gut zehn Meilen dick und so
breit, dass es der Schirm nicht mehr anzeigte. Sie zu umfahren schien
unmöglich. Brueckner hörte die Gespräche der Männer in
den Cockpits. Wenn auch nur undeutlich, von Rauschen überlagert. Es
fiel ihm schwer, etwas zu verstehen. Kein Unwetter, glaubte er
zu hören, eigentlich nichts, was diese Anzeige erklären
würde. Der Mann kratzte sich am Kinn. Kein Unwetter und nichts,
was diese Anzeige erklären würde? Aber das Radar und
offensichtlich auch das der Maschinen log doch nicht. Ein Gerät
konnte ja ausfallen, aber nicht drei. Wieder erklangen die Stimmen der
Männer. Sie waren nun inmitten der Front. Nichts da, sagten
sie diesmal. Alles okay, wir
An dieser Stelle wurden die
Stimmen von einem kreischenden, durchdringenden Pfeifen überlagert.
Es klang derart schrill, dass sich Brueckner automatisch die Hände auf
die Ohren presste. Dennoch hörte er, was sich ereignete. Einer der Piloten
schrie. Unartikuliert, aber in höchster Panik. Auch sein Kollege in
der zweiten Mannschaft rief etwas, brabbelte aber dann nur ein paar Worte.
Der Steuermann starrte auf den Radar-Schirm. Die Front war deutlich zu sehen.
Die Flugzeuge nicht mehr. Die waren nämlich verschwunden.
Scheiße, wisperte der Mann auf Deutsch, ehe er sich fasste
und zwei Dinge gleichzeitig tat. Zum einen alarmierte er den Captain durch
einen Druck auf einen Knopf. Dalton wurde nun ausgerufen und auf die Brücke
beordert. Das gab Brueckner die Chance, Miami zu informieren. Nicht nur
über das, was sich zugetragen hatte, sondern auch darüber, dass
sich die MS Pleasure auf schnellstem Wege zur Unglücksstelle begeben
würde, um eventuelle Überlebende zu bergen. Wenige Minuten später
waren Dalton und Freeman wieder auf der Brücke. Dalton ließ sich
einen kurzen Bericht geben und nickte nur, als ihm Brueckner sagte, dass
die Pleasure bereits volle Fahrt machte und geringfügig vom Kurs abwich,
um die Unglücksstelle zu erreichen. Brueckner war erfahren genug um
zu wissen, was er zu tun hatte. Hilfe Verunglückter stand an erster
Stelle in solchen Momenten, denn eines Tages das wusste jeder Seemann
konnten sie selbst in Not geraten und waren dann darauf angewiesen,
dass andere ihnen zur Hilfe kamen. Die Front kam näher. Nicht nur Brueckner
hatte den Eindruck, dass sie sich rascher als zuvor näherte. Und doch
konnten sie nichts sehen. Das Meer lag ruhig vor ihnen, das Wetter war gut.
Kein Sturm, keine Wellen. Nichts. Schon komisch, murmelte Freeman.
Auch er kannte die Sage vom Teufelsdreieck, wie man diese Gegend nannte.
Doch so wie jeder andere glaubte er nicht daran. Keine Geister, keine UFOs
nichts. Da ist was auf dem Radar, aber vor uns ist
Er schaute auf und sah es. Ein Schiff. Es trieb ohne Licht vor ihnen.
Nahe. Gefährlich nahe. Maschinen voller Stopp, rief Dalton,
aber Brueckner hatte bereits reagiert. Seine Hand war gedankenschnell zum
entsprechenden Hebel gezuckt und statt nur die Maschinen zu drosseln, hieß
es nun volle Kraft zurück. Schließlich war ein Schiff kein Auto,
das man gerade mal so zum Stehen bringen konnte. Was zur Hölle
, entfuhr es Dalton. Also schön Lampen an.
Und rufen Sie das Schiff. Mal sehen, wer sich meldet. Brueckner kratzte
sich wieder über das Kinn. Er kannte den Namen des Schiffes, welches
vor ihnen aufgetaucht war. Auch wenn er keine direkte Zuordnung herstellen
konnte. MS Smithers. Ein Trawler, wie es aussah. Er sah den Namen in verblasster
Farbe auf dem Rumpf des Schleppnetz-Fischers stehen. Der gesamte Aufbau des
Trawlers war schön älter. Das Boot musste schon lange in Dienst
gestellt sein. Mindestens zwanzig Jahre, wenn nicht
Sir
rief er aufgeregt, als der Groschen fiel, wir sollten sehr vorsichtig
sein. Die MS Smithers verschwand vor etwa acht Jahren. Es hieß, sie
sei gesunken. Erinnern Sie sich noch an die Sache? Dalton nickte. So
wie jedem anderen auf der Brücke lief ihm ein Schauer über den
Rücken. Also schön dann rufen Sie die Küstenwache,
Brueckner. Sagen Sie ihnen, dass wir die MS Smithers gefunden haben. Mister
Freeman, informieren Sie unsere Passagiere über die Situation. Sie sollen
unter Deck auf neue Anweisungen warten. Der Erste Offizier nickte
zögerlich. Sir, glauben Sie
Ich meine wir befinden
uns in einem Gebiet, welches als
Dalton musterte den Mann scharf.
Wenn jetzt das Wort Bermuda-Dreieck fällt, lasse ich Sie kielholen.
Das sind Märchen, verstanden. Die Eigner des Schiffes wären sicherlich
nicht begeistert, wenn wir ihre Kunden verängstigten. Aye,
Sir, bestätigte Freeman zackig, ehe er die Brücke verließ.
Brueckner hatte der kurzen Unterhaltung zugehört, sich aber nicht
eingemischt. Stattdessen versuchte er, die Küstenwache in Miami zu
erreichen. Schließlich gelang es ihm, eine Verbindung herzustellen.
Trotz Rauschen und atmosphärischen Störungen verstand er den Mann
am anderen Ende. Hier spricht die MS Pleasure. Wir haben
In diesem Moment erreichte die Front was auch immer es war
das Schiff. Die Störungen nahmen zu, für einen Moment brach der
Kontakt ab, ehe ein hartes Lachen aus dem Funkgerät drang. Dalton und
Freeman starrten noch immer auf das Schiff vor ihnen und das sie umgebende
Meer, während Brueckner das Steuer umklammert hielt. Die MS Pleasure?
Oh Mann Sie haben vielleicht Nerven, lachte der Mann von der
Küstenwache. Die MS Pleasure. Er wandte sich an einen Kollegen
im Hintergrund. Hörst du das, Paul? Die MS Pleasure. Was
ist denn da so lustig?, rief Brueckner aufgebracht. Die Situation,
in der sie sich befanden, überforderte ihn allmählich und dieser
Mann der Küstenwache lachte ihn auch noch aus. Wir brauchen
Hilfe. Darauf wette ich, Mann, ertönte es kratzend
aus dem Funk. Die MS Pleasure gilt seit über vier Jahren als
verschwunden. Brueckner drehte den Kopf, um zu Freeman und Dalton zu
schauen. Die beiden Männer spürten, wie ihnen ein Schauer über
den Rücken kroch. Was soll denn der Mist?, wisperte der
Steuermann. Er begriff nicht, was dies alles zu bedeuten hatte. Keiner auf
der Brücke begriff es und noch viel weniger begriffen es die Passagiere.
Es war der letzte Funkspruch der MS Pleasure. Auch wenn die Männer in
Miami die Sache für einen Scherz hielten. Immerhin schrieb man bereits
den 20ten Dezember 2002. Fast viereinhalb Jahre also, nachdem die MS Pleasure
einen Wetterbericht der Gegend, in der sie sich aufhielt, angefordert hatte
und fast viereinhalb Jahre, nachdem zwei Marine-Flugzeuge verschwunden waren.
Ein Sturm, so hieß es damals offiziell, habe die beiden Maschinen und
auch das Schiff auf dem Gewissen. Es wurden keine Wrackteile gefunden. Keine
Leichen geborgen. Die Sache blieb ungeklärt