Virgin Islands - 23.10.2003 / 10.45 Uhr
"PFC1 Martinez - Sie und Ihre Truppe sichern das Lager. Hier kommt keiner
'rein oder 'raus ohne dass wir es wollen. Verstanden?" "Sir, ja, Sir!", rief
die junge Marine, grüßte kurz und eilte davon, um den Befehl
weiterzugeben. Sollte nicht schwer sein, das Lager zu sichern. Immerhin haben
wir das Meer im Rücken. Erst als sie Private Garner gegenüberstand,
fiel ihr ein, dass der Feind ein paar Schwimmer schicken konnte. "Wir
müssen das Lager nach allen Richtungen sichern - auch zum Meer hin.
Sorgen Sie dafür, dass ..." Sie hielt einen Moment inne, da zwei
Hubschrauber im Tiefflug über ihren Kopf hinwegfegten, um knapp 500
Meter entfernt auf dem Sandstreifen zu landen. "Sorgen Sie dafür, dass
wir sicher sind." Sie selbst war von den Maßnahmen nicht ausgenommen,
sondern musste mit anpacken. Das olivgrüne Shirt klebte an ihrem Leib,
während sie zu einem großen Haufen rannte, auf dem das Material
für Zäune und Barrieren bereitlag. Ihre schweren Stiefel versanken
im Sand, das Laufen fiel ihr schwer. Hinzu kam die Hitze, die selbst im Oktober
noch immer drückend war. Martinez sehnte sich den versprochenen Regen
herbei, von dem im Briefing vor Beginn der Übung die Rede gewesen war.
Das kleine Eiland gehört zu den Jungferninseln. Von Mai bis November
ist dort Regenzeit. Wir haben es mit tropischem Klima zu tun, das von
östlichen Winden gemäßigt wird. Also nichts im Vergleich
zu der Hitze, die unsere Kameraden im Irak ertragen müssen. Die Soldatin
hielt inne, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Es war ihr
egal, was ihre Kameraden im Irak durchmachten. Sie schwitzte, und nur das
war wichtig. Andererseits war dies eine Übung der US-Marines und nicht
das Ferienlager Camp Lazy, wie ihr Vorgesetzter zu sagen pflegte. Sie waren
nicht gekommen, um ein paar schöne Tage in der Karibik zu verbringen.
Lächelnd über diesen Vergleich griff sie nach ein paar Pfählen,
um sie an den Rand des Sandstrandes zu bringen. Ein Voraustrupp hatte sie
aus heimischen Hölzern geschlagen und hier zurückgelassen. Der
Auftrag klang simpel. Sie sollten eine Insel einnehmen, die von
aufständischen Rebellen gehalten wurde. Niemand sprach es aus, aber
jeder dachte, dass diese Insel auch Kuba sein könnte. Doch dies waren
nur die Gedanken in den Köpfen der Marines. Nicht etwa die Pläne
des Pentagon. Sie wollten lediglich sicher sein, dass ihre Truppen eine Insel
einnehmen konnten. Irgendwo auf dem nicht sehr großen Terrain hielten
sich die Rebellen versteckt - Einheiten der US-Army, die den Marines so heftig
in den Arsch treten wollten, wie die Infanteristen erpicht darauf waren,
die Army einmal mehr vorzuführen. Verbissene Kämpfe waren nicht
nur erwünscht, sondern befohlen und eingeplant, auch wenn lediglich
mit Übungsmunition geschossen wurde. Schließlich sollte niemand
ernstlich verletzt oder gar getötet werden. Das Vorauskommando, so wusste
Martinez, hatte von heftigem Widerstand berichtet, während es die Landung
der Truppen vorbereitete. Davon war nun nichts mehr zu spüren. Fast
schon war es, als wollte die Army den Marines Gelegenheit geben, sich in
aller Ruhe einzurichten. Oder es ist ihnen zu heiß für ein kleines
Gefecht zur Begrüßung, dachte die Soldatin. Mit Schwung lud sie
die Pfähle ab. Hinter ihr trabte Garner durch den Sand. Ein Mann wie
ein Baum, und das im wörtlichen Sinne. Knapp zwei Meter groß,
breite Schultern und Muskeln, dass einem angst und bange werden konnte. So
wie Obelix als kleiner Junge in den Zaubertrunk gefallen war, schien Garner
eine Überdosis Testosteron abbekommen zu haben. Zumindest was sein
Erscheinen betraf, denn außerhalb des Dienstes war er so sanft wie
ein Lamm. "Ist ein beschissener Ort für eine Übung, oder?" Auch
er schwitzte, blieb neben Martinez stehen und schaute rüber zum Wald.
"Warum nicht Montana?" Die Soldatin lachte. "Wenn uns Montana eines Tages
angreifen sollte, werden wir sicherlich auf deinen Vorschlag zurückkommen.
Und nun sieh zu, dass ..." Sie hielt inne und kniff die Augen zusammen. Am
Rand des tropischen Waldes, der hier in den Strand ragte, hatte sie etwas
entdeckt. Erst glaubte sie, es handele sich um ein merkwürdig geformtes
Gehölz, aber je länger sie sich dieses Etwas besah, umso sicherer
war sie sich, dass es sich um einen Stiefel handelte.